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"Früher war alles besser" - die Fotobranche im Wandel

Der Fotofachhandel leidet seit Jahrzehnten. Als ich 1984 beim renommierten Fotohaus Weizsäcker in Stuttgart meine Ausbildung zum Fotokaufmann begann wurde das nahende Weihnachtsgeschäft als Ausnahmezustand angekündigt: Die Kunden würden in Schlangen bis vor den Eingangstüren anstehen. 
Der erwartete Ansturm setzte in diesem Dezember 1984 nicht ein.

Die „LERCHE“ in Stuttgart war damals das größte Radio- und Fotogeschäft Süddeutschlands, preisaggressiv mit seinen Sonderangeboten, ja, dort standen die Leute nicht nur in der Vorweihnachtszeit Schlange. Es gab Tage, da schickte mein Chef seine Verkäufer in die LERCHE Filiale, weil ein bestimmtes Kameramodell dort gerade günstiger angeboten wurde als der eigene Einkaufspreis beim Hersteller.
Auch die eigentlich ertragreiche Bildertheke wurde durch LERCHE in diesen Jahren zum Discountmodell. Der gleiche Fotoabzug beim selben Großlabor kostete dort regelmäßig nur noch die Hälfte des "Fachhandelpreises".
Mit LERCHE erodierten die damals gewohnt satten Margen des Einzelhandels. Im Einzugsgebiet von Stuttgart waren Hifi-Geräte von Sony bei keinem anderen Radio- und Fernsehhändler im Kernsortiment, weil gegen LERCHE preislich nicht zu bestehen war.

LERCHE musste 2004 schließen. Konsumträgheit, Euro-Umstellung und Umsatzeinbrüche im Preiskampf gegen neue Branchenriesen wie MediaMarkt galten als Begründung. Die Elektronikdiscounter erhoben das "Sonderangebot" zur Marke. "Geiz ist geil" und billiger geht eben immer.
Foto Hirrlinger in der Stuttgarter Calwer Straße kann sich immerhin noch 10 Jahre länger halten und knickt 2014 vor dem inzwischen erstarkten Online-Handel ein. Foto Weizsäcker ist da schon längst Geschichte. 

Und wenn Beratung allerorten nichts mehr "wert" zu sein scheint, so sollte der Kauf zumindest billig sein. Viele Käufer erwarten kaum mehr eine seriöse Beratung, man hat sich über die Jahrzehnte an eine "Selbstbedienungsmentalität" gewöhnt. Selbst die ältere Kundschaft bemängelt nicht mehr, dass es im MediaMarkt keine Beratung gibt, denn die meisten haben deren Geschäftsmodell inzwischen auch verstanden. Auch der Fach-Einzelhandel spart, meist beim Personal.

Im neuen Jahrtausend verändert insbesondere die Digitalisierung viele Branchen, auch den Einzelhandel. Das Internet ermöglicht den Online-Versandhandel und aus dem einstigen Buchhändler Amazon wird rasch eines der größten Unternehmen der Welt. Jetzt setzt Amazon die Branche unter Druck, unter denen der bisherige Branchenriese MediaMarkt sich zerreibt.

Im Fotohandel ist das Smartphone der Totengräber des traditionellen Geschäfts. Insbesondere seit der Einführung des iPhones im Jahr 2007 durch Apple kommt eine neue Fotobegeisterung auf, denn die "Immer-dabei"-Kamera für die Hosentasche ist endlich Wirklichkeit. Dem Fotohandel bricht derweil der Absatz der günstigen Einsteigerkameras weg, die Bildertheke wird zur Selbstbedienungsinsel im Drogeriemarkt, das Rahmengeschäft übernimmt Ikea.

Die Fotoindustrie kann immer weniger auf das Massengeschäft setzen und konzentriert sich auf den semiprofessionellen Fotografen. Hochwertige, leistungsstarke und auch teure Ausrüstungen bestimmen heute den Kameramarkt.

Derweil werden im traditionellen Einzelhandel vergangene Zeiten hochgehalten und glorifiziert, anstatt Vorteile und Chancen der neuen Zeit aufzunehmen. Der Niedergang des Einzelhandel im Gesamten wird allgemein bedauert, doch das veränderte Kundenverhalten, heutige Verkaufsprozesse, aber auch Missstände und Unsitten führen regelmäßig zum "Ausverkauf" des Einzelhandels. Am meisten scheinen das die Händler zu bedauern.

Wie der katholischen Kirche mit ihren verkrusteten Strukturen und überholten Traditionen bleiben den Einzelhandelsgeschäften die Kunden fern, während die Bischofskonferenz eigene Verlautbarungen für modern und unverzichtbar hält.

Durch das Internet werden viele Informationen allgemein zugänglich, der Verkäufer verliert seinen erheblichen Vorsprung an Informationen und Wissen und der Kunde offenbar seine "Abhängigkeit" vom Wissensvorsprung des Händlers. Die Ladentheke ist nicht mehr zentraler Ort für Beratung und Verkauf. Die einst partnerschaftliche und vertrauensvolle Begegnung zwischen Kunden und Händler - die "Kundentreue" verliert zunehmend an Bedeutung. Viele Kunden glauben, sich durch ihr selbst erworbenes (Vor-)wissen einer Manipulation im Verkaufsgespräch besser erwehren zu können (oder erwehren zu müssen).

Grundsätzlich haben sich Misstrauen und Unmut gegenüber dem Einzelhandel herausgebildet, zu einseitig seien die Vorteile zugunsten des Handels, zu hohe Gewinnmarken stünden oft ungenügenden Leistungen gegenüber. Immer weniger qualifizierte Fachkräfte und "Berater der alten Schule" bestimmen heute das Personal in den Geschäften. Beratungsleistungen sind wenig nutzbringend, Personal gering qualifiziert und tatsächlich kann man die Servicebereitschaft und den Umgang z.B. mit Reklamationen, Umtausch oder Rückgabe in vielen Geschäften kritisieren.

Nur, welche Vorteile und Argumente kann der stationäre Einzelhandel seinen Kunden heute noch bieten, um nicht zunehmend in der Bedeutungslosigkeit zu versinken?
Auch der Fotohandel kann kaum mehr punkten gegen Auswahl und Verfügbarkeiten, Lieferfähigkeit und vor allem die Preise, die das Internet transparent und vergleichbar macht. "Das kann ich für Sie gerne bestellen" wäre früher gerne akzeptiert worden, heutzutage kann der Kunde (fast alles) meist schneller und günstiger selbst im Internet bestellen und bequem nach Hause liefern lassen. Die Kunden erkennen die manchmal irren Preisaufschläge des Handels, die sich kaum mehr begründen lassen. Leistung hat nach wie vor ihren Preis, das steht für viele Kunden außer Frage, aber in vielen Geschäften stellt die Leistung des Händlers keinen außergewöhnlichen Mehrwert mehr dar.

Die Auswirkungen sind allerorts zu beobachten. Der inhabergeführte kleinbetriebliche Fachhandel ist kaum mehr präsent und geht mit der Zeit oder "geht eben mit der Zeit". Umsätze verlagern sich ins Internet, Online-Shopping ist bequem, schnell, preistransparent und der Käufer profitiert von vielen Rahmenbedingungen wie dem gesetzlichen Rückgaberecht, unkomplizierten Retouren und oft günstigen Preisen.

Auch die Branchengrößen unter den Händlern spüren zunehmend Druck auf ihr Geschäftsmodell. Ihre Lieferanten, die Hersteller wie Leica, Canon, Nikon, Sigma, die bisher die traditionellen Strukturen aus Groß- und Einzelhandel förderten und unterstützten, sind heute mit firmeneigenen Online-Shops präsent. Gleichzeitig sind aktuelle Topmodelle wie die Fujifilm X100VI oder eine Leica Q3 über Monate hinaus am Markt praktisch nicht erhältlich. Es entscheidet bei der Kaufentscheidung nicht mehr die beste Beratung, der beste Service oder der beste Preis, sondern die Verfügbarkeit, und die lässt sich am besten selbst im Internet recherchieren. Eine treue Stammkundschaft aufzubauen und "bei Laune zu halten" wird immer schwieriger, was hilft der kompetente, nette Fotohändler am Ort, wenn er die gewünschte Ware nicht anbieten kann.

Unter diesen Rahmenbedingungen haben viele Kunden den Einzelhandel längst verlassen und kaufen online. Doch gleichzeitig gibt es die Sehnsucht nach Werten und Traditionen, nach guter Beratung und echtem Einkaufserlebnis. Langsam wenden sich die Kunden ab von den Geschäftspraktiken des scheinbar einzig verbliebenen Versandhändlers Amazon, aus verschiedensten Gründen. Es kann der Zustellservice des Internetriesen sein, dessen eigene Fahrzeug- und Fahrerflotte manche Lieferung noch unzuverlässiger zustellt als es seither nur von Hermes bekannt ist. Auch die sich zuspitzende Monopolisierung des Handels, die beängstigende Konzentration auf einen einzigen Anbieter schreckt inzwischen immer mehr Menschen ab.
Der Wandel ist da, wenn auch das Kaufverhalten online noch überwiegt. Jetzt gilt es für den Handel, sich erneut zu positionieren und die Möglichkeiten zu erkennen. Es geht darum, Amazon und Co. ein attraktives Angebot entgegen zu setzen, das wahrgenommen und wertgeschätzt wird und durch Präsenz und Kundenbindung wirkt. Die verbliebenen Fotohändler, die sich in ihrer Nische inzwischen professionalisiert haben werden zwar weiter Durchhaltevermögen brauchen, aber die Zeit wird Ihnen Kunden zurück bringen.

Wer heute die Calumet Filiale in Stuttgart besucht, einen Foto Leistenschneider oder Photo Universal in Fellbach, wird sicher überrascht sein, dass es jenseits der Onlinewelt tatsächlich eine beeindruckende Auswahl und ein faszinierendes Angebot gibt, hervorragende Beratung und Servicebereitschaft, die vielleicht die Argumentation nicht mehr allein um den günstigsten Preis drehen lässt. Unterstützen Sie den guten Einzelhandel, sonst wird es ihn vielleicht schon bald in dieser Form nicht mehr geben. Dann werden die großen Firmen und Marken mit ihren eigenen Onlineshops und Flagship-Stores den Markt erobern und den inhabergeführten Einzelhandel verdrängen. Vielleicht ist dies bereits der aktuelle Trend?

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